Seit 01.01.2022 ist ein tiefgreifender Paradigmenwechsel bei Rentenversicherungsverträgen zur betrieblichen Altersversorgung (bAV) festzustellen. Die meisten Versicherungsgesellschaften garantieren selbst bei einer Vertragslaufzeit von mehr als 35 Jahren eine Leistung, die (weit) weniger als den eingezahlten Beiträgen entspricht. Sind solche Verträge für die bAV zugelassen? Tickt zukünftig eine „Zeitbombe mit unkalkulierbarer Sprengkraft“ innerhalb der bAV?
Zur Erinnerung
Die Entgeltumwandlung ist als Bestandteil der betrieblichen Altersversorgung im Gesetz fest verankert. Seit dem 01.01.2002 besteht sogar ein Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer.
Im Betriebsrentengesetz (BetrAVG) ist unter § 1 Abs.2 Nr.3 nachzulesen: „Betriebliche Altersversorgung liegt auch vor, wenn künftige Entgeltansprüche in eine wertgleiche Anwartschaft auf Versorgungsleistungen
umgewandelt werden.“
Arbeitgeber haben bei der bAV große Freiheit in Sachen Ausgestaltung. Laut BetrAVG kann die Durchführung unmittelbar über den Arbeitgeber erfolgen, oder über einen externen Versorgungsträger vorgenommen werden. Für die Erfüllung der zugesagten Leistung steht der Arbeitgeber grundsätzlich immer ein (§ 1 Abs.1 Satz3 BetrAVG).
In den letzten 20 Jahren wurde aus verschiedenen Gründen immer wieder darüber diskutiert, was wohl eine „wertgleiche Anwartschaft“
ist? Zunächst galt, wertgleich ist, wenn mindestens die eingezahlten Beiträge plus ein Inflationsausgleich garantiert werden. In den letzten Jahren hat sich dann die Meinung verfestigt, dass mindestens die Summe der eingezahlten Beiträge garantiert sein muss. Eine gesetzliche Regelung gibt es hierzu leider nicht, und so müssen in der Zukunft Gerichte entscheiden, was unter Wertgleichheit zu verstehen ist.
Bundesarbeitsgericht gibt seit 2009 Hilfestellung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich bereits 2009 ausführlich mit dem Thema beschäftigt (Urteil vom 15.09.2009 – 3 AZR 17/09). In der Urteilsbegründung finden sich zahlreiche Anhaltspunkte zur Auslegung einer wertgleichen Zusage.
Wann muss Wertgleichheit vorliegen?
Hier ist das BAG erfreulicherweise eindeutig: „Die Frage, ob dem Erfordernis der Wertgleichheit Rechnung getragen ist, muss bei Abschluss der Entgeltumwandlungsvereinbarung beantwortet werden. In diesem Zeitpunkt müssen die künftigen Entgeltansprüche einerseits und die durch die Entgeltumwandlung zu erzielende Anwartschaft auf Versorgungsleistungen andererseits, miteinander verglichen werden.“
Damit stellt das BAG klar, dass ein vages zusätzliches Versorgungsversprechen (mögliche Versorgungsleistung) für die Beantwortung der Frage zur Wertgleichheit, keine Rolle spielt.
Was ist Wertgleichheit?
Hier bleibt auch das BAG in seinem Urteil sehr allgemein und lässt jede Menge Interpretationsspielraum. Zitat: „Deren Wert muss sich bei objektiver wirtschaftlicher Betrachtung entsprechen und damit “gleich” sein. Dabei kommt versicherungsmathematischen Grundsätzen jedenfalls bei Abschluss einer Direktversicherung entscheidende Bedeutung zu.“
Die Interpretation der Versicherungswirtschaft
Viele Versicherungsgesellschaften legen die Vorgaben zu einer wertgleichen Zusage so aus, dass die Summe der eingezahlten Beiträge minus Risiko-, Vertriebs- und Verwaltungskosten wohl ausreichend sein dürfte. Einige Versicherungsgesellschaften lassen den Arbeitgebern die Wahlmöglichkeit eine Garantie mit den Beschäftigten zu vereinbaren, die zwischen 90% und 60% der eingezahlten Beiträge entspricht.
Angebotsvergleich mit teilweise erschreckenden Zahlen
Ein Praxisbeispiel belegt das Dilemma für Arbeitgeber anschaulich.
Angenommen, ein Unternehmen möchte eine Entgeltumwandlung für einen Mitarbeiter (geb. am 01.02.1990) mit einem monatlichen Beitrag von 230 € (200 € Entgeltumwandlung und 30 € Arbeitgeberzuschuss) einrichten. Um zu prüfen, ob ein Versicherungsangebot die Anforderungen an die Wertgleichheit erfüllt, kann vereinfacht wie folgt vorgegangen werden:
Beitragssumme bis zum 67.Lebensjahr = 96.600 € (230 € x 12 x 35 Jahre). Bei einer statistischen Lebenserwartung von 90 Jahren (96.600 € : 23 Jahre : 12 Monate), sollte eine Rente von ca. 350 € pro Monat zu erwarten sein (bei 0% Verzinsung). Hiervon könnten jetzt noch Abschläge nach „versicherungsmathematischen Grundsätzen“ vorgenommen werden.
Wer jetzt versucht, ein vergleichbares Angebot einer Versicherungsgesellschaft einzuholen, wird feststellen, dass die Gesellschaften „versicherungsmathematische Grundsätze“ sehr weit auslegen. Bei einem Vertragsabschluss zum 01.02.2022 mit einem monatlichen Beitrag von 230 € und einer Laufzeit von 35 Jahren, liegen die garantierten Kapitalbeträge zwischen 57.960 € und 95.716 € und die dazugehörigen monatlichen Garantierenten zwischen 147,97 € und 249,73 €
Allianz (Tarif StRFKU1GD/60%) Garantie: 147,97 € Monatsrente oder 57.960 € Kapital
WWK (Tarif FVG22) Garantie: 200,70 € Monatsrente oder 77.280 € Kapital
Allianz (Tarif StRFKU1GD/90%) Garantie: 221,96 € Monatsrente oder 86.940 € Kapital
HDI (Tarif Two Trust Selekt) Garantie: 226,28 € Monatsrente oder 87.398 € Kapital
Nürnberger (Tarif NIR3201VK3) Garantie: 234,54 € Monatsrente oder 90.079 € Kapital
Bayerische (Tarif KlassikRente) Garantie: 237,63 € Monatsrente oder 90.835,46 € Kapital
Alte Leipziger (Tarif AR10WAR10) Garantie: 249,73 € Monatsrente oder 95.715,53 € Kapital
Es braucht schon jede Menge Fantasie, hier eine wertgleiche Versorgungszusage abzuleiten. Soweit versicherungsmathematische Grundsätze bei der Betrachtung im Vordergrund stehen, sollten objektive wirtschaftliche Betrachtungen nicht ausgeschlossen sein. Bei einer monatlichen Betriebsrente von nur 147,97 € beispielsweise, müsste der Betriebsrentner 121 Jahre alt werden, um wenigstens die einbezahlten Beiträge als Rente ausbezahlt zu bekommen. Kaum vorstellbar, dass so ein Vertrag als wertgleich anzusehen ist. Aber selbst beim vermeintlich besten Angebot, muss der Betriebsrentner das 99.Lebensjahr erreicht haben, um zumindest die eingezahlten Beiträge als Rente erhalten zu haben.
Was, wenn die Zusage nicht wertgleich ist?
Zumindest an diesem Punkt ist das Bundesarbeitsgericht in seiner Urteilsbegründung von 2009 wieder eindeutig: „Soweit der Kläger eine der Höhe nach unzureichende Versorgungsanwartschaft erhält und soweit deshalb die Entgeltumwandlung einer Rechtskontrolle nicht standhält, löst dieser Rechtsmangel lediglich eine Verpflichtung der Beklagten zur “Aufstockung” der Versorgung aus.
§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG gebietet es, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer anstelle des umgewandelten Arbeitsentgelts eine wertgleiche Altersversorgung zusagt. Wenn die zugesagte Versorgung nach den Maßstäben des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG unzureichend ist, hat der Arbeitgeber die Versorgung soweit aufzustocken, dass dem Wertgleichheitsgebot genügt ist.
Die Aufstockung der betrieblichen Altersversorgung entspricht dem gesetzlichen Ziel, sowohl für einen Ausbau der betrieblichen Altersversorgung zu sorgen, als auch den Arbeitnehmer vor unzureichenden Versorgungszusagen zu schützen.“
Damit ist es an den Unternehmen zunächst Regularien für eine Wertgleichheit zu definieren und diese gegebenenfalls aufzustocken, wenn eine gerichtliche Überprüfung ein Ungleichgewicht aus Entgeltumwandlung und Versorgungszusage ergibt.
Die Umsetzung in der Praxis
Unternehmen sollten bei der Einrichtung einer Entgeltumwandlung darauf achten, dass eine wertgleiche Zusage erteilt wird. Soweit die Umsetzung der Entgeltumwandlung mit Hilfe eines Versicherungsvertrages erfolgt, gilt besondere Aufmerksamkeit. Im (gerichtlichen) Zweifel ist von erheblichen Ausgleichszahlungen auszugehen.
Deshalb sollten Arbeitgeber von einer beteiligten Versicherungsgesellschaft eine schriftliche Erklärung fordern, dass der jeweilige Versicherungstarif die Anforderungen an die Wertgleichheit nach § 1 Abs.2 Nr.3 BetrAVG erfüllt und ggf. Ausgleichszahlungen durch den Versicherer übernommen werden.
Es ist zu beobachten, dass immer mehr Unternehmen bei der Umsetzung von Entgeltumwandlungsmöglichkeiten auf die traditionellen Durchführungswege vertrauen. Wird die Entgeltumwandlung beispielsweise im Durchführungsweg Direktzusage umgesetzt, gibt es keinerlei Zweifel an einer wertgleichen Zusage, wenn folgende Parameter eingehalten werden:
Mitarbeiter, geb. 01.02.1990, Beitrag 200 €, Zuschuss 30 €, Renteneintritt 67.Lebensjahr.
Bei einem monatlichen Beitrag von 230 € ergibt sich eine Beitragssumme von 96.600 €.
• Bei 1% Verzinsung 115.605 Euro = 468 € Rente pro Monat bis 90.Lebensjahr
• Bei 2% Verzinsung 139.480 Euro = 629 € Rente pro Monat bis 90.Lebensjahr
Entgeltumwandlung in den traditionellen Durchführungswegen Direktzusage und Reservepolster Unterstützungskasse bedeutet auch, dass die beim Mitarbeiter einbehaltene Liquidität (Gehaltsverzicht) vollständig im Unternehmen verbleibt und hier gemessen am eigenen Return on Investment (ROI) nutzbar gemacht wird. Da ein ROI von mehr als 5% pro Jahr eher als Regel denn als Ausnahme gilt, haben Unternehmen ausreichend Spielraum für eine angemessene Zusage und zusätzliche eigene betriebswirtschaftliche Vorteile.
Ein Arbeitgeber kann somit im Zuge einer Entgeltumwandlung eine Rente zusagen, die 2 bis 4 mal höher ist, als eine vergleichbare Garantierente eines Versicherungsunternehmens und zusätzliche Liquiditätsreserven bilden. Es ist
ebenfalls problemlos möglich, eine Rentenbezugszeit zu kalkulieren, die über die statistische Lebenserwartung hinaus geht.